Lügnerin (Midnight)

(Original von Nadja) (Nicht wegen dem Titel wundern - der will mindestens 10 Zeichen im Titel haben)

Aylissa träumte.

Aus dem weißen Schleier, der ihre Wahrnehmung einhüllte, formte sich langsam ein Bild. Weißes Licht umfing alles, tauchte den Raum, in dem sie und die anderen sich befanden, in einen nahezu unwirklichen Schimmer. Rafael fehlte, aber nach kurzer Zeit betrat er den Raum durch eine kleinere Tür. Er sagte Aylissas Namen und wies auf den Durchgang hinter sich, und sie erhob sich, nickte ihm kurz zu und trat dann durch die Tür. Sie schwieg, und auf ihrem Körper lastete eine bleierne Schwere, die auch ihre Gedanken zu erdrücken schien.
Eine Prüfung. Eine Geste der Gastfreundschaft, etwas, das sie nicht hatte ablehnen können.

Als Aylissa durch die Tür getreten war, schien das Licht noch einen Hauch greller zu werden und sie musste die Augen zu schmalen Schlitzen verengen, um die Gestalt des muskulösen Elfen vor ihr genau erkennen zu können. Er sagte etwas, sie stellte eine Frage, er nickte. Vier elfische Krieger betraten den Raum, begannen, sich mit vorsichtigen, raubtierhaften Bewegungen langsam auf Aylissa zuzubewegen, einen Halbkreis um sie zu formen, der sie schließlich wehrlos mit dem Rücken an die Wand pressen würde.
Sie hob die rechte Hand, griff nach ihrer Magie und einen Wimpernschlag später umschlossen ihre Finger einen kurzen, aus Eis geformten Dolch. Das weiße Licht brach sich in der eiskalten Klinge und sein blendender, kühler Glanz spiegelte sich auch in Aylissas Augen, als sie die Waffe aus einer geschmeidigen, blitzschnellen Vorwärtsbewegung heraus über den Hals eines der Krieger zog. Das weiße Licht wich dem plötzlichen Ausströmen roten Bluts.

Die Szene ertrank in einem roten Schleier, den erst nach einiger Zeit wieder das vertraute grellweiße Leuchten durchdrang und den Blick auf einen zweiten, kleineren Raum freigab. Das Licht war so hell, dass Aylissa nicht mehr als die Silhouette des alten Elfen erkennen konnte, der vor ihr stand.
Was ist wichtiger: Das Leben eines einzelnen Freundes oder der Sieg in einer wichtigen Schlacht?
Die Frage hallte laut in ihrem Kopf wider, schien sie wie ein unendlich schweres Gewicht zu Boden zu pressen.
Der Sieg, hörte sie sich nach einer kurzen Pause sagen.
Das Leben eines Freundes, wisperte etwas in ihren Gedanken, Du lügst.
Den Elfen schien ihre Antwort dennoch zufrieden zu stellen, er nickte, bevor er ein weiteres Mal zu sprechen begann.
Würdet Ihr Euer Leben opfern, wenn davon der Sieg in einer entscheidenden Schlacht abhinge?
Welche Antwort wollte er hören? Blutige Bilder, Kampfszenen, ihr eigener lebloser Körper, zuckten vor ihren Augen auf, während die Worte des Elfen sie höhnisch umspukten.
Wenn es keinen anderen Weg zum Sieg gäbe - ja, sagte ihr Selbst in der Erinnerung schließlich nach einiger Überlegung und wirkte recht überzeugt von seiner Antwort.
Du würdest es nicht fertig bringen, spottete ein Teil ihres Bewusstseins, ihr träumendes Selbst, Lügnerin.
Was fürchtet Ihr?
Die letzte Frage. Das Licht wurde heller und heller, machte aus dem Elfen und Aylissa zwei bloße Schattenrisse vor blendend heller Kulisse.
Die Angst, war ihre Antwort gewesen.
So vieles, flüsterte sie sich selbst ein, Verlust, Verrat, Veränderung. Taten. Denkst du, sie bemerken nicht, dass du die Wahrheit verschweigst?

Und das Licht verschlang Aylissas Wahrnehmung in einem plötzlichen unerträglich hellen Aufblitzen und tilgte auch die Erinnerung an den Traum.