(Original von Vin)
Aylissa war sich nicht sicher, ob sie die Augen tatsächlich aufgeschlagen hatte - zwar war die Schwärze ihrer Ohnmacht nun einem gleißenden Weiß gewichen, doch noch immer sah sie nichts. Sie konnte den Himmel nicht erkennen und hatte ob des um sie herum wütenden Schneesturms bisweilen sogar Mühe, den Boden zu ihren Füßen zu sehen. Alle Geräusche und anderen Sinneseindrücke sog der Sturm in sich auf, verwob sie zu einem weißen, donnernden Flirren und spuckte sie bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt wieder aus.
Hohe Schneewehen, stets aufs Neue aufgewirbelt durch die Gewalt des Windes, umgaben Aylissa und während sie sich langsam in eine sitzende Position aufrichtete, fühlte sie schmerzhaft, wie fest die Kälte ihre Klauen schon um sie geschlungen hatte.
Zögerlich kehrten die Erinnerungen zurück. Ein Elf mit einem Zweihänder. Die Klippe. Einsturz. Iskir, der sich fest an ihren Mantel geklammert hatte. Der Sturm. Er hatte sie mit grenzenloser Wucht zu Boden geschleudert und der Aufprall hatte ihr alle Luft aus den Lungen gepresst, bevor sie schließlich in die sanfte Umarmung der Ohnmacht entglitten war.
Wo war Iskir, wo die anderen? Allein.
Nur der Schneesturm heulte an ihrer Seite.
Aylissa schlang sich die kaum wärmende Robe fester um den Leib und zog in einer quälend mühsamen Bewegung die Beine an den Körper.
Sie versuchte, nach ihrer Magie zu greifen, aber sie gab den Versuch bald auf - weder ihr Körper noch ihr Geist schienen bereit zu irgendeiner Anstregung zu sein. Die Kälte, gepaart mit dem eisigen Wind, war von einer Intensität, wie Aylissa es noch nie erlebt hatte. Alles an ihrem Körper fühlte sich seltsam taub an und jede noch so kleine Bewegung forderte der Channelerin eine immense Kraftanstrengung ab.
Aylissa begann, den Boden um sich herum mit klammen Fingern abzutasten, auf der Suche nach ihrer Ausrüstung, nach irgendetwas, das sie besser vor der Kälte schützen würde als ihre Robe, auf der der Schnee bereits gleich einem kalten Mantel lastete. Verzweifelt grub sie in den sie umgebenden pulvrigen Schneewehen, die Hände brennend vor Kälte, den Blick verschleiert durch den Schneesturm, doch ihre Suche blieb erfolglos.
Schließlich ließ Aylissa die eiskalten Hände zurück in die Taschen ihrer Robe gleiten, die zwar keinen Schutz vor der Kälte boten, die unaufhaltsam immer weiter in ihren Körper kroch, aber zumindest den schneidenden Wind ein wenig abhielten.
In einer ihrer Taschen ertastete Aylissa mit halb tauben Fingern eine kleine Papierkarte. Unwillkürlich huschte ein Lächeln über die Lippen der Magierin. Das einzige ihrer Besitztümer, das ihr geblieben war, war ausgerechnet jene kurze Botschaft. Das war einfach zu ironisch.
Aylissa zwang sich, aufzustehen und einige erste Schritte in eine beliebige Richtung zu tun - auch wenn ihr Gang zittrig war und der Wind so sehr an ihr zerrte, dass er sie jeden Moment zu Boden zu reißen drohte, es war unwahrscheinlich, dass der Sturm von allein aufhörte. Sie musste die Schneise finden, die das Horn in den Sturm geschlagen hatte. Die andere Option war der Tod.